Runder Tisch zur Kreisfreiheit mit knapp 300 Bürgern
Im vollen Rolandsaal des Altstädtischen Rathauses fand gestern der erste Runde Tisch zur Kreisfreiheit statt. Oberbürgermeisterin Dietlind Tiemann hatte Vertreter aus allen Bereichen des städtischen Lebens eingeladen, um über die Bedeutung der Kreisfreiheit für die Entwicklung der Stadt und die Folgen eines Verlusts zu informieren.
„Es gibt weder eine tragfähige Begründung noch eine wirkliche Zielstellung für die neuerliche Kreisgebietsreform. Es ist mir völlig unklar, wie man Oberzentren stärken und die Versorgung der Bürgerinnen und Bürger in unserem Flächenland verbessern will, wenn die kreisfreien Städten in wesentlichen Belangen der wirtschaftlichen, infrastrukturellen, kulturellen, sozialen oder schulischen Entwicklung nicht mehr selbst entscheiden dürfen?“
fragte Brandenburgs Rathauschefin u.a. den kommunalpolitischen Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Daniel Kurth und die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen Landtagsfraktion, Ursula Nonnenmacher.
Unter dem Applaus der knapp 300 Teilnehmer verwies Tiemann darauf, dass die Kreisfreiheit mehr als ein Begriff sei und Heimat und Identität für 400.000 Bürgerinnen und Bürger unseres Landes stifte.
Unterstützt wurde sie dabei vom Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes des Landes Brandenburg, Karl-Ludwig Böttcher: "Die Landesregierung könne nicht einfach ein Leitbild verordnen, ein Leitbild muss mit und von Bürgern entwickelt werden und nicht gegen den Bürgerwillen. Die Enquete-Kommission habe Reformen auf allen Landesebenen gefordert, stattdessen gibt es wieder 9 Ministerien und sogar mehr Staatssekretäre. Das Land muss Aufgaben auf die kommunale Ebene, die Städte und Gemeinden übertragen, damit diese ihre Dinge vor Ort selbst entscheiden können.“
Auch die Bürgermeisterin von Eisenhüttenstadt, Dagmar Püschel unterstrich den mit einem Verlust der Kreisfreiheit einhergehenden Verlust von Entscheidungskompetenzen: „Wir hatten in Eisenhüttenstadt nach der Einkreisung versucht, wichtige Aufgaben aus den Bereichen Soziales, Jugend, Bauamt, Straßen und Verkehr zu behalten. Aufgrund der zusätzlichen Kreisumlage mussten wir nach und nach aber alle Aufgaben an den Landkreis abgeben. Für unsere Bürger können heute deshalb keine Lösungen mehr aus einer Hand anbieten.“
Für den Sozialbereich bestätigte dies Wolfgang Erlebach. Der Sozialbeigeordnete Brandenburgs an der Havel verwies auf die Gefahr, dass hilfebedürftige Menschen bei einer Auftrennung von Verantwortlichkeiten zwischen Landkreis und Stadt zukünftig zwischen unterschiedlichen Behörden und Aufgabenträgern hin und her geschoben werden könnten.
Mit Blick auf die engagierte Bürgerschaft in den kreisfreien Städten und den Ablehnungswillen in den Landkreisen appellierte Bürgermeister Steffen Scheller an die Landespolitiker, Politik doch nicht gegen den ausdrücklichen Willen der Bevölkerung zu machen.
Mit einem juristischen Bonmot brachte es abschließend der Präsident des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, Wolf Kahl, auf den Punkt: „Wer den gegenwärtigen Status ändern will, der trägt immer die Beweislast. Deshalb muss die Landesregierung jetzt erstmal stichhaltige Beweise und Argumente für den Verlust der Kreisfreiheit vorbringen. Kann sie das nicht, wird sie verlieren.“