Brandenburgerinnen und Brandenburger würdigten mit einer Erinnerungs- und Gedenkveranstaltung am 20. Jahrestag des Mauerfalls die Bedeutung der friedlichen Revolution von 1989.
Im voll besetzten Großen Haus des Brandenburger Theaters haben die Brandenburgerinnen und Brandenburger am Abend des 09.11.2009 den 20. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer und der Öffnung der innerdeutschen Grenze gefeiert. Zu dieser Festveranstaltung hatten Dr. Hans-Peter Jung, Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung, und Oberbürgermeisterin Dr. Dietlind Tiemann, eingeladen, um gemeinsam an die friedliche Revolution vor zwei Jahrzehnten in Brandenburg an der Havel zu erinnern.
In ihrer Festrede hob die Oberbürgermeisterin noch einmal die große Bedeutung des Augenblicks hervor, als in den Nachtstunden des 9. November 1989 die ersten Menschen in der Bornholmer Straße die Grenze in Richtung Westberlin passierten. „Es war ein glücklicher Moment, den keiner, der ihn mitbekam, je vergessen wird: Es war ein Lichtblick in der deutschen Geschichte und ein Tag, der neue Perspektiven eröffnete. Auch wenn in den ersten Tagen danach viele Fragen ungeklärt waren, so wussten wir doch alle, dass es kein Zurück mehr geben konnte, nach dem die Mauer einmal durchlässig geworden war. Das fühlten die Menschen in Ost und West und wir spürten, dass wir eine geschichtliche Zäsur erlebten, dass nach dem 9. November 1989 alles anders sein würde.“
Auf die inneren und äußeren Rahmenbedingungen für die friedliche Revolution in der ehemaligen DDR eingehend, sagte das Stadtoberhaupt: „Die Öffnung der Mauer kam damals für alle überraschend, sie lag jedoch in der Konsequenz der Entwicklungen der vorausgegangenen Monate. Und – was gelegentlich vergessen wird – sie hing eng mit Ereignissen zusammen, die zuvor in anderen Ländern des Ostblocks stattgefunden hatten. Ich erinnere zum Beispiel an den symbolträchtigen Abbau der Grenzanlagen zwischen Österreich und Ungarn Ende Juni 1989 oder an das Paneuropäische Picknick in Sopron, wo einige Zeit später ca. 600 DDR-Bürgern, die sich seit Wochen auf ungarischen Zeltplätzen aufhielten, das unversehrte Überschreiten der Grenze nach Österreich ermöglicht wurde. Ich erinnere an den jahrelangen Kampf der Polen für die erste freie Gewerkschaft in einem sozialistischen Land. Selbst mit der Verhängung des Kriegsrechts gelang es Anfang der 80er Jahre nicht, die noch junge „Solidarnosc“ in die Knie zu zwingen und den Weg der Opposition aufzuhalten. Einen runden Tisch gab es in Polen schon, als die Bevölkerung in der DDR gerade erst begann, auf der Straße gegen das SED-Regime zu protestieren.“
Dr. Dietlind Tiemann sprach in ihrer Rede dann davon, dass sich vor 20 Jahren auch in Brandenburg an der Havel, der Stadt der Stahlwerker und Aktivisten, immer mehr mutige Menschen fanden, die offen für Veränderungen eintraten. Wie überall im Land, sei der Unmut der Menschen stetig gestiegen angesichts ausbleibender Reformen, der ökonomischen Krise und der ständig wachsenden Bevormundung durch Partei und Staat. Immer mehr DDR-Bürger hätten in diesen Wochen und Monaten sozusagen mit ihren Füßen abgestimmt und versucht, über Ungarn, Warschau und Prag in den Westen zu fliehen. Andere versammelten sich Montag für Montag zu den berühmt gewordenen Demonstrationen und traten mit Kerzen und Gebeten für Freiheit und Demokratie ein. „Für Freiheit und Demokratie, Menschenrechte und Reisemöglichkeiten einzutreten: Das sagt sich heute so leicht. Aber damals erforderte es großen Mut, auf die Straße zu gehen und eigene Forderungen aufzustellen. Niemand wusste, wie viel Protest die Machthaber tolerieren würden.“
Sie sei, so die Oberbürgermeisterin weiter, in den vergangenen Wochen wiederholt gefragt worden, ob sie persönlich an den Demonstrationen teilgenommen habe. „Sicher gab es nach der Wende nicht wenige Landsleute, die ihre eigene Rolle in der Zeit der Wende später etwas anders dargestellt haben, als sie tatsächlich war. Dazu zähle ich nicht, denn ich sage auch heute noch: Nein, ich habe es damals nicht gewagt, auf die Straße zu gehen, obwohl auch mir bewusst war, dass es in der DDR Veränderungen geben muss.“ Sie habe vielleicht auch deshalb nicht an Demonstrationen teilgenommen, weil es eine Situation gab, die sie damals sehr beunruhigte und auch geprägt habe. Sie bezog sich damit auf den möglichen Einsatz von Betriebskampfgruppen in der Stadt und die daraus entstehende Gefahr. „Wer in den letzten Tagen und Wochen die verschiedenen Dokumentationen über den Wendeherbst im Fernsehen verfolgt oder die Berichte in den Zeitungen gelesen hat, der kann erahnen, wie schmal damals oft der Grat zwischen friedlichem Protest und gewaltsamer Niederschlagung war.“
Die Oberbürgermeisterin erinnerte an dieser Stelle ihrer Rede an den 17. Juni 1953. „Bereits damals bewiesen die Menschen Zivilcourage. Nur mit Hilfe sowjetischer Panzer konnte der Volksaufstand niedergeschlagen und der Ruf nach Freiheit und Einheit unterdrückt werden. Die Machthaber in der DDR waren damals schon machtlos gegenüber dem Willen des Volkes. Am 9. November 1989 vollendeten die Menschen, was sie 36 Jahre zuvor begonnen haben. An diesem Tag wurde der Weg für die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes endgültig frei gemacht. Das haben die Menschen im Osten Deutschlands mit ihrem Mut, ihrer Zivilcourage und ihrem Willen nach Freiheit bewirkt.“
„20 Jahre ist dies nun her,“ fuhr Dr. Tiemann in ihrer Rede fort. Zwei Jahrzehnte seien das gewesen, in denen sich im ganzen Land und auch in Brandenburg an der Havel viel verändert hat. „Ändern mussten sich vor allem auch die Menschen: Nein besser, sie mussten sich nicht ändern, sie mussten ihr Leben neu planen und neu einrichten. Mit dem gleichen Elan und mit dem gleichen Willen, wie sie die Mauer umstürzten, haben sie sich ein neues Leben in einer für sie ungewohnten Gesellschaft aufgebaut. Eine beispielhafte Leistung! Die neue Freiheit, die sie sich selbst erkämpft haben, hat ihnen dabei geholfen. Die Bilder, die unser Land vor 20 Jahren zeigen, machen deutlich, wie sehr es sich verändert hat.“
Auf die Veränderungen vor Ort bezogen, sagte Sie: „Brandenburg an der Havel ist in vielerlei Hinsicht zu einer attraktiven Stadt geworden. Dazu zähle ich neben den Ansiedlungserfolgen auch die überall sichtbaren Zeichen der Stadtsanierung, die positive Entwicklung im Tourismus, das internationale Image als Stadt des Wassersports, die moderne Fachhochschule, das Ansehen der Stadt als überregional bedeutender Gerichtsstandort, das gut ausgebaute Gesundheitswesen oder das breit gefächerte Angebot im kulturellen und sozialen Bereich.“ Darauf könne man zu Recht stolz sein und man solle auch dankbar dafür sein, dass es „uns in einer relativ kurzen Zeit gelungen ist, den schwierigen Strukturwandel zu meistern und einen modernen Wirtschaftsstandort mit Tradition und Zukunft aufzubauen.“
Die Oberbürgermeisterin ging in ihrer Rede auch darauf ein, dass vor zwanzig Jahren zwar die Mauer eingerissen wurde, aber es auch heute noch bei vielen Deutschen eine Mauer in den Köpfen gibt und Vorurteile leider immer noch nicht endgültig abgebaut wurden. „In einem solch schwierigen Prozess wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Veränderungen läuft nicht alles glatt. Dass da auch Fehler passieren oder man manche Dinge im Nachhinein anders bewertet und aus heutiger Sicht vielleicht besser machen würde, ist verständlich. Das ist doch normal, das ist der Lauf der Geschichte.“
Zum Abschluss erinnerte sie daran, dass sich der 9. November im 20. Jahrhundert in mehrfacher Hinsicht als ein Schicksalstag deutscher Geschichte erwiesen hat. „Viele Deutsche denken, wenn das Datum 9. November fällt, nicht als Erstes an den Fall der Mauer, sondern an das Novemberpogrom von 1938. Auch wir in Brandenburg an der Havel haben heute Nachmittag an die brennenden Synagogen, in Konzentrationslager verschleppte und ermordete Juden gedacht und daran erinnert, dass die sogenannte Reichskristallnacht vor 71 Jahren die Vorstufe zum Holocaust war. Der Fall der Mauer bezeichnet ein geglücktes Ereignis deutscher Geschichte. Doch der 9. November steht auch für dunkle Kapitel unserer Geschichte. Wir werden diesem Datum nur gerecht, wenn wir beide Seiten sehen.“
Mit dem Blick in die Zukunft sagte Dr. Dietlind Tiemann zum Abschluss ihrer Rede: „Ich bin überzeugt: Wenn die Menschen in unserem Land, die Menschen aus dem Norden, dem Osten, dem Westen und dem Süden so, wie am 9. November 1989 optimistisch und gemeinsam die Aufgaben anpacken, dann werden wir erfolgreich die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts meistern.“
Im Anschluss der Oberbürgermeisterin ging Ralf-Stephan Rabe vom Historischen Verein Brandenburg (Havel) e.V. auf die Ereignisse und Entwicklungen in der Stadt Brandenburg an der Havel rund um den 9. November 1989 ein. Der erste Teil der Erinnerungs- und Gedenkveranstaltung wurde mit musikalischen Beiträgen der Brandenburger Gruppe Nothing Toulouse umrahmt, die dafür viel Beifall bekam. Im zweiten Teil der Veranstaltung begeisterte das Jacaranda Ensemble mit einem Konzert die Brandenburgerinnen und Brandenburger.