Künstlerinnengruppe-K11 – Tempus Fluit Versuch einer Verortung

Künstlerinnengruppe-K11 – Tempus Fluit Versuch einer Verortung

Ausstellungsdauer: 6.5.-4.6.2023
Vernissage: Freitag, 5. Mai 2023 um 18h
Einführung: Kuratorin Kirsten Eggers M. A. Sonntag, 14.5.2023 um 15 Uhr Gespräch mit Künstlerinnen der Künstlerinnengruppe-K11 und der Kuratorin Kirsten Eggers sowie anschließender Führung durch die Ausstellung
Samstag, 20.5.2023 um 19 Uhr BRENNABOR_LAB präsentiert: Lateinamerikanische Musik mit der kubanischen Band „Berlineando“
Finissage: Sonntag, 4.6.2023 um 14 Uhr Die Künstlerinnen sind anwesend

Tempus fluit – Versuch einer Verortung/ zeigt in der Kunsthalle Brennabor Werke der Künstlerinnengruppe-K11, die sich aus elf Absolventinnen der Akademie für Malerei Berlin 2019
zusammengeschlossen haben: Anett Münnich, Claudia Hohrein, Ingeborg Rauss, Inna Perkas, Marlies Ziemke, Marty Sander, Pedra Guiness, Su Weiss, Ulrike Schmelter, Ursula Kornfeld und Vera Lang.

Die Künstlerinnen mit Wurzeln in vier verschiedenen Ländern aus zwei Kontinenten setzen sich mit aktuellen Themen unserer Zeit wie Klima, Natur, Mensch, Ordnung und Vergänglichkeit auseinander.
In einer immer komplexer werdenden, globalisierten Welt, scheint eine Verortung einerseits immer schwieriger, aber dennoch zugleich notwendiger denn je
zu sein.In der Ausstellung /Tempus fluit – Versuch einer Verortung/ gehen die Künstlerinnen mit verschiedenen Ansätzen an das Thema heran und werfen unterschiedliche Fragen auf.Zunächst scheint „Tempus fluit“, also das Fließen der Zeit – vor allem mit dem häufig darauf folgenden „Tempus fugit“, die Zeit flieht oder rast und damit zerrinnt, ein Gegensatz zu einer Verortung zu sein.

Verortung kann als Standortbestimmung aufgefasst werden, die physisch-örtlich, mental, emotional, geschichtlich, individuell oder global sein kann. Der Standort mag auch im übertragenen Sinne als „Haltung“ verstanden werden.
Fragen wie „Wo stehe ich gerade? Aber auch wo gehöre ich hin? Wo komme ich her? Und wie wirkt sich das im größeren Kontext auf unsere Umgebung und Umwelt aus?“ werden in der Ausstellung abgetastet und aufgeworfen. Dies geschieht nicht nur in ihrer Funktion als Künstlerinnen, sondern auch als Individuen sowie im Makrokosmos als Menschheit und im Kontext des Weltgeschehens. Es ist ein Versuch der Orientierung in einer immer komplexer und unübersichtlicher werdenden Welt – und das eben im Wandel der Zeiten, der in den letzen 150 Jahren schneller denn je mit immer größeren Umwälzungen einherzugehen scheint.

In der Ausstellung werden Themenkomplexe mit unterschiedlichen Schwerpunkten zwischen den Künstlerinnen der Gruppe gestreift wie Herkunft, Heimat und Umgebung, Erinnerung, technischer Fortschritt, Zivilisation und Natur sowie deren gegenseitige Zusammenhänge. An allen kann deutlich erkannt werden, wie die Zeit fließt und voranschreitet. Ob dieser Wandel, diese Veränderungen positiv oder negativ zu bewerten und zu erfahren sind, hängt immer sehr vom Standort, der eigenen Verortung ab.

Generell lässt sich wohl aber festhalten, dass nur wer sich verortet, sich umsehen und dadurch in Beziehung setzen kann. Es ermöglicht das Aufbauen und Ausloten unterschiedlicher Nähen und Distanzen – auch im übertragenen Sinn – zu Themen, Orten, Menschen, Meinungen, Zuständen und ähnlichem.

Das versuchen die genannten Künstlerinnen der Gruppe K11 hier in der Ausstellung mit mannigfaltigem Focus und diversen künstlerischen Techniken.

Im Ausstellungsraum bilden die ersten beiden „Kojen“ mit der zentralen Wand am Ende der Ausstellungshalle eine gedankliche Klammer. Die Werke der Künstlerin Ursula Kornfeld auf der hinten gelegenen Stirnseite verorten die Besucher in der Kunsthalle und stellen den Bezug zur ursprünglichen Nutzung und Geschichte von Brennabor her, zum Beispiel mit dem kreisrunden Betriebslogo, das sich auch in den Werken mit den Brennabor Produkten wiederfindet. Ergänzt werden die neuen Arbeiten durch ihre klein-formatigen, tagebuch-ähnlichen, schnellen, charmanten Zeichnungen ihrer unmittelbaren Umgebung und Alltagsszenen.

Die ersten beiden Ausstellungskojen werden von Claudia Hohrein und Ingeborg Rauss bespielt.Claudia Hohrein befasst sich in erster Linie mit Oberflächenstrukturen anorganischer meist metallischer Objekte, sog. „lost objects“. Hauptanliegen ist die Darstellung einer Momentaufnahme im Verfallsprozess. Sie wirft Fragen nach dem Umgang mit Materialien und Recycling auf. So würde ein bewussterer Umgang mit den begrenzten Ressourcen unseres Planeten die Natur, die Umwelt und den Menschen schützen.

Die Serie Smartphone Generation von Ingeborg Rauss touchiert schon im Titel diese technische Errungenschaft jüngerer Zeit. Zu jeder Zeit an jedem Ort der Welt erreichbar zu sein und auch am Weltgeschehen teilhaben zu können, erleichtert vieles und ermöglicht eine gleichberechtigte Teilhabe an allen Themen. Dies kann neben Segen aber auch einen Fluch von permanenter Erreichbarkeit darstellen. Die Verortung ist mittels des Geräts theoretisch überall – gewollt und ungewollt – möglich. Die Frage ist, ob eine bewusst wahrgenommene physische, reale Verortung in seiner aktuellen Umgebung überhaupt noch stattfindet, wenn die Welt nur ausschnitthaft über einen kleinen Bildschirm erlebt wird.

In den jeweils zweiten Kojen links und rechts des Mittelgangs befinden sich die Arbeiten von Inna Perkas und Marty Sander.Hier wird die Aufmerksamkeit auf den Menschen in Zusammenhang mit Erinnerung und Orten gelenkt; Orte, die uns zum Beispiel an jemanden individuell, privat erinnern, aber genau so Orte, an denen im öffentlichen Raum ein kollektives Gedächtnis geformt wird: Jeder hinterlässt eine Spur und schreibt sich ein. Beide scheinen zu fragen: „Wie verändert sich die Erinnerung an Orten und an Menschen im Laufe der Zeit?“Inna Perkas arbeitet konzeptionell in zehnteiligen Serien: neun Werke plus ein Protokoll, in dem der Modus operandi festgehalten wird. Marty Sander beschäftigt sich mit dem Thema der Flüchtigkeit der Dinge, mit alltäglichen und vergangenen Geschichten. In ihren collagierten Zeichnungen vermischt sich Fiktion mit Wirklichkeit, Abstraktion mit Figürlichkeit. Die Koordinaten auf einigen Arbeiten führen zu realen Orten aus ihrer persönlichen Geschichte.

Auch Marlies Ziemke und Vera Lang widmen sich dem Menschen. Vera Lang führt das Thema der Erinnerung in ihren beiden Hommagen (an Joan Mitchell und an GEGO) weiter. Wie verortet man sich künstlerisch? Wer hat einen ggf. nachhaltig beeinflusst und hat damit identitätsstiftend gewirkt oder sogar die Kunstgeschichte global geprägt?, scheint sie zu fragen.Marlies Ziemke umkreist das Genre des abstrakt-figürlichen Portraits im Wandel der Zeit. Wo stehen wir hier? Wie hat sich „female gaze“, der weibliche Blick auf das weibliche Geschlecht gerade auch in der Kunst entwickelt? Wie Marty Sander wird hier Story-telling betrieben, das den Besucher mit einbezieht und dem zwei Gedichte von Bertolt Brecht als Inspiration zu Grunde liegen.

Su Weiss entwickelt in diesem Themenbereich, der um die menschliche Präsenz kreist, in ihren Bildern ganz eigene Wege. Zwischen den Polen von erkennbarer Realität und Abstraktion sind Natur und Architektur, das Innen und Außen und deren Resonanz gekennzeichnet durch eine abwesende Anwesenheit des Menschen. Dieser wird in die farbnuancierten Gefühlsräumegleichsam hineingezogen und damit Teil des Ganzen. In der Erkenntnis, das allesfließt, ist eine Verwurzelung und Bindung durch Gefühl und Raum möglich.

Im hinteren Bereich des Ausstellungsraums beschäftigen sich die Arbeiten von Pedra Guiness, Ulrike Schmelter und Anett Münnich mit Natur.Veränderungen und Wandel zeigen sich offensichtlich in den Jahreszeiten im Wachsen und Vergehen der Natur. Wasser als unsere Lebensquelle sowie der Himmel mit unserer einzigartig zusammengesetzten Atmosphäre, die Leben überhaupt auf diesem Planeten möglich machen, spielen bei allen dreien immer wieder eine Rolle.Anett Münnich fokussiert ihre Bildaussagen auf die Beziehung von Mensch und Natur. Sie beobachtet ihre Umwelt und analysiert die Auswirkungen zivilisatorischer Eingriffe und klimatischer Veränderungen. Jede ihrer Arbeiten setzt auf die Bewegung von Linien und Flächen, fremd und zugleich vertraut. Diesfindet man auch auf unterschiedliche Weise in den Werken von Pedra Guiness.

Bei allen spielen Fragen eine Rolle, wie „Wie gehen wir mit unserer Umwelt um?“ und „Was schaffen wir uns selber für Lebensbedingungen durch unser heutiges Verhalten in der Zukunft?“Natur präsentiert sich hier aber auch als Sehnsuchtsort wie zum Beispiel bei Ulrike Schmelters „Wolken- und Wasserbildern“, was spätestens seit der Romantik in der Kunstgeschichte auftaucht.

„Tempus fluit – Versuch einer Verortung“ heißt den Blick auf die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu richten und das Verhältnis zu einem selbst wie untereinander in der künstlerischen Auseinandersetzung der ausstellenden Künstlerinnen der Gruppe K11 auszuloten. Auch dieses Ausloten bleibt einem stetigen Fließen und Wandel unterworfen, ganz dem Ausstellungstitel entsprechend.

Text: Kirsten Eggers, April 2023

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